Vladimir Blok: Vladimir Blok
Das erste Mal war ich im Sommer 1951 bei Emil Grigorjewitsch. Ungefähr zwei Monate vor meiner Aufnahmeprüfung für das Konservatorium erklärte er sich bereit, mich anzuhören. Nachdem er sich mein Programm angehört hatte, sagte Gilels: „Wenn bei ihnen alles in Ordnung geht, können Sie einen Antrag auf Aufnahme in meine Klasse stellen.“
Ich legte die Prüfung für die Kompositionsabteilung ab und gleichzeitig für die Fakultät für Klavier. Ich wurde ins Konservatorium aufgenommen und kam glücklicherweise in die Klasse von Emil Grigorjewitsch.
Im ersten Semester wollte ich mit einer Aufführung eines Konzertes von Haydn mit Orchester am Studentenwettbewerb des Konservatoriums teilnehmen … Emil Grigorjewitsch sagte: „Für Sie ist es noch zu früh, an Wettbewerben teilzunehmen“.
Während er uns unterrichtete, war er bestrebt, uns in die Klangatmosphäre der großen Klassik einzuführen. Seine umfassende Bildung ließ uns staunen. Ich erinnere mich, wie hingerissen er uns Fragmente aus der einzigartigen Mozart-Biographie von Ulybyschew darlegte, einem Zeitgenossen Glinkas und Balakirews.
In einem anderen Fall, in dem er einen Studenten zur beflügelten Inspiration seines Spiels ermutigen wollte, sagte Gilels liebevoll: „Lies den ‚Doktor Faust’ von Thomas Mann“.
In unserer Klasse fand sich immer Zeit zum Musizieren. Ich erinnere mich, wie wir Studenten eine Sinfonie von Brahms spielten – zu vier Händen mit Emil Grigorjewitsch. Was war das für ein Glück! Gilels verstand es, sogar in dem noch nicht flügge gewordenen Erstklässler die schöpferische Persönlichkeit zu erkennen. Er schrieb nie irgendeine konkrete künstlerische Lösung vor. Aber wenn er darum bat, irgendeine Passage eines Werkes noch und noch einmal zu wiederholen, fühlte ich mich (und nicht nur ich allein) lange Zeit gehemmt – erklang doch einen Augenblick zuvor diese Passage in seiner Ausführung.
In Gilels Klavierklasse spürte man immer das Streben nach einem hohen künstlerischen Ziel. Im zweiten oder dritten Studienjahr stellte sich heraus, dass ich eine schwache linke Hand hatte. Wenn ich bei einem „Trainer“-Pädagogen (solche gab es leider nicht wenige) studiert hätte, dann hätte das sicherlich zu zwei, drei langweiligen Etüden geführt. Oder zu einer Änderung des Programms (man kann jeden Mangel der Ausführungstechnik auf die eine oder andere Weise kaschieren). Emil Grigorjewitsch dachte ein wenig nach und sagte: „Nehmen wir uns das Konzert von Ravel vor“.
Den ganzen Sommer lernte ich mit unerhörter Begeisterung. Das geniale Konzert von Ravel für die linke Hand riss mich mit. Und ein halbes Jahr später wurde ein Wettbewerb des Konservatoriums für die Darbietung des Ravel-Konzertes mit Orchester ausgeschrieben. Ich trat auf dem Wettbewerb mit Erfolg auf. Im vierten Studienjahr spielte ich das Konzert mit dem Staatlichen Sinfonieorchester. Und nach dem Diplom erhielt ich von Gilels ein unschätzbares Geschenk – die Partitur des Konzertes von Ravel mit der Widmung: „Am Tag der Beendigung des Konservatoriums – zur Erinnerung. Emil Gilels“.
Moskau, Oktober 1986