Als der Krieg vorbei war und die Sowjetunion als eine der Siegermächte daraus hervorging, wurde Gilels wiederholt eine besondere Mission zuteil: Er sollte die Kunst seines Landes in der Welt repräsentieren. Er konzertierte auf den Bühnen der zerstörten Städte Osteuropas und Ländern wie Italien, England, Frankreich, Österreich und Skandinavien. Als einen “Repräsentanten des Sozialismus” empfing man den sowjetischen Pianisten eher zurückhaltend. Doch wenn er die Bühne verließ, begleitete ihn stets ein donnernder Applaus; die Menschen sprangen auf, drängten vor zur Bühne und verlangten Zugaben. Gilels spielte überall und unter allen widrigen Umständen hervorragend – er eroberte buchstäblich Europa. Alle europäischen Länder luden ihn ein, Konzerte zu geben und Schallplatten einzuspielen. Man verlieh ihm viele Auszeichnungen und Ehrentitel. So wurde Gilels Träger des Stalin-Preises (1946) und des Preises “Sowjetischer Volkskünstler” (1954).
1955, zur Zeit des “Kalten Krieges”, unternahm Gilels als erster sowjetischer Musiker eine Konzertreise in die USA. Das Publikum in der Carnegie-Hall empfing ihn schweigend und ohne Applaus. Nach dem Konzert jedoch ließ ihn die vor Begeisterung tobende Menge nicht mehr von der Bühne. Er spielte damals unter dem Dirigat von Eugene Ormandy das in den USA sehr beliebte erste Klavierkonzert von Tschaikowsky, mit welchem schon Rachmaninow und Horowitz dort Erfolge gefeiert hatten. Von da an war man sich auch außerhalb Europas einig, dass Gilels zu den weltbesten Pianisten gehörte. Bis an sein Lebensende konzertierte er regelmäßig in den USA und in Kanada. Er reiste dort drei Monate pro Jahr, die maximale Aufenthaltserlaubnis die einem sowjetischen Künstler zur damaligen gestattet wurde.
Die 50er bis 70er Jahre stellten hinsichtlich seiner Aktivität als konzertierender Pianist den Höhepunkt von Gilels’ Karriere dar. Die Aktivität und Intensität seiner verschiedenen Tätigkeiten waren gerade in dieser Periode erstaunlich. Gilels gab offensichtlich an die 100 Konzerte im Jahr. In der „Chronik“ der Auftritte von Gilels, die L. Barenbaum erstellt hat, sind 50-60 Konzerte pro Jahr verzeichnet. Dies sind jedoch bei Weitem nicht alle. Neben seinen intensiven Auslandsreisen spielte Gilels in der UdSSR in Städten wie Moskau, Leningrad, Nowosibirsk, Saratow, Kujbyschew, Omsk, Kasan, Swerdlowsk, Tscheljabinsk, Gorkij, Sotschi, Tiflis, Eriwan, Baku, Lwow, Ushgorod, Odessa, Donezk, Dnjepropetrowsk, Tschernigow, Saporoshje, Kiew, Charkow, Nowotscherkassk, Woronesh, Rostow, Kislowodsk, Pjatigorsk, Jessentuki, Kischinjew, Minsk, Grodno, Smolensk, Wilna, Kaunas, Riga, Dsintari, Klajpeda, Tallinn, Tartu, Brjansk, Jaroslawl, Wladimir, Kaluga, Kalinin, Kursk, Orl, Barnaul, Nowokusnjetzk, Prokopjewsk, Tambow, Lipetzk, Iwanowo, Tula, Rjasan, Kolomna, Serpuchow und Pskow. (Diese Auflistung aller Städte ist vollständig). In den meisten dieser mitunter nicht gerade großen Städte spielte er mehrmals. Er trat mit solch herausragenden Dirigenten wie J. Mrawinskij, A. Melik-Paschajew, J. Swetlanow, K. Iwanow, N. Rachlin, A. Gauk, L. Ginsburg, K. Eliasberg, Nijasi, N. Järvi, D. Kitajenko, W. Dudarowa, R. Barschai auf. Eine besonders ausgedehnte und fruchtbare Arbeit verband Gilels mit K. Sanderling und K. Kondraschin. Gelegentlich spielte er Klavierkonzerte mit I. Gusmann, M. Pawermann, M. Malunzjan, D.Gokijeli, T. Kolomijtzewa, L. Schaposchnikow, T. Gurtowoj, N. Rabinowitsch, L. Katz, S. Feldmann, A. Katz, L. Wingers, I. Schermann, A. Stasjewitsch, I. Sokolow, D. Tjulin, P. Krawtschenko, G. Karapetjan, W. Dubrowskij, W. Tolba, G. Prowatorow, W. Katajew, J. Ahronowitsch, N. Tschunichin, P. Jadych, J. Nikolajewskij und anderen. Er entdeckte talentierte junge Dirigenten wie W. Werbitzkij und W. Owtschinnikow.
Bei jedem Konzert betrat er die Bühne so, als handele es sich um die Carnegie-Hall oder den großen Saal des Moskauer Konservatoriums. Er spielte viele neue Stücke des immer größer werdenden Repertoires, war immer gut in Form und begeisterte das Publikum. Er trat in allen Hauptstädten Europas auf und bereiste Länder wie die USA, Kanada und Japan. Großen Erfolg hatte er auf seinen zahlreichen Reisen nach England, die BRD und die DDR, Frankreich, Belgien, Italien, Spanien, die Tschechoslowakei, Polen, Bulgarien, Ungarn, Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen, Jugoslawien, den Iran, die Türkei und in andere Länder. Sein Repertoire beinhaltete Werke von J. S. Bach, Händel, Rameau, Scarlatti, C. Ph. E. Bach, Clementi, Haydn, Mozart, Beethoven, Weber, Schubert, Schumann, Chopin, Liszt, Brahms, Mendelssohn, Grieg, Franck, Saint-Saëns, Smetana, Aljabjew, Balakirew, Tschaikowsky, Rachmaninow, Skrjabin, Medtner, Glasunow, Prokofjew, Schostakowitsch, Debussy, Ravel, Fauré, Poulenc, Strawinsky, de Falla, Albeniz, Weinberg, Kabalewskij, Chatschaturjan, Krein, Wladigerow, Bartok und viele weitere Komponisten. Er spielte in Ensembles mit Pianisten (mit Jakow Flier und Jakow Sak, später mit seiner Tochter Elena); mit Geigern (mit seiner Schwester Elisebeth Gilels, D. Tzyganow und L. Kogan), mit dem Beethoven-Quartett, im Trio mit D. Tzyganow und S. Schirinskij, dem von ihm selbst gegründeten Trio E. Gilels – L. Kogan – M. Rostropowitsch, mit dem Flötisten A. Kornejew und dem Hornisten J. Schapiro. Im Ausland spielte er mit dem Amadeus-Quartett und dem Quartett der Sibelius-Akademie. Eine Vielzahl seiner Einspielungen zählen zu den „Meisterwerken” der Klavierkunst. Er spielte nahezu die gesamte Klaviermusik, brachte aber nicht alles auf die Bühne, sondern nur das, was für ihn selbst einen besonderen Wert hatte.
Vor allem sind hier die fünf Klavierkonzerte von Beethoven zu nennen, die er in der Saison 1955-1956 aufführte, und die für immer in die Geschichte eingingen. Gilels war es gelungen, dem Geist und Stil Beethovens zu entsprechen. Bei Gilels ist nichts „ausgedacht“, alles absolut natürlich und nach „Beethoven-Art“. Den ganzen Zyklus nahm er mindestens sieben Mal auf, mit den Dirigenten K. Kondraschin, K. Sanderling, L. Ludwig, W. Vandernoot, G. Szell, und K. Masur. Die Aufführungen des Beethoven-Zyklus waren zahlreich. Gilels spielte auch die Sonaten und Variationen Beethovens. Der Versuch einer Gesamtaufnahme scheiterte an seinem frühzeitigen Tod.
Zu seinem Repertoire zählten viele Werke von Mozart, die er besonders in den 60er Jahren häufig aufführte, unter anderem bei den Salzburger Festspielen. Es herrschte eine gewisse Verwunderung darüber, einen solch großen Virtuosen, der viele schwierige Werke gespielt hatte, nun Mozart spielen zu hören. Nach den ersten Mozartabenden war jedoch klar, dass gerade Mozarts Einfachheit und Echtheit den Kern von Gilels Kunst selbst darstellten.
Beeindruckend ist auch die Aufnahme des e-Moll-Konzerts von Chopin. In Gilels’ Interpretation ist es transparent wie Mozart, nicht vergleichbar mit bekannten Chopin-Interpretationen. Die lyrischen Stücke von Grieg wurden laut norwegischen Kritikern „noch nie so gut gespielt“, ebenso sein Klavierkonzert.
Das erste Klavierkonzert von Tschaikowsky gehörte zu Gilels’ Standardrepertoire. Viele angesehene Musiker mussten sich damals eingestehen, dass niemand dieses Konzert so einmalig spielte wie er. Er spielte alle drei Konzerte von Tschaikowsky mit L. Maasel ein, das erste mehrmals mit den Dirigenten K. Kondraschin, A. Cluytens, J. Mrawinskij, J. Swetlanow, A. Gauk, S. Samosud, K. Iwanow, K. An erl, F. Reiner, Z. Mehta u.a.
Debussy und Ravel erschienen in seinem Repertoire für viele unerwartet. Seine Interpretationen dieser Komponisten sind Sternstunden der Aufführungspraxis in der Klaviermusik des Impressionismus.
Das zweite Konzert von Saint-Saëns, erfreute sich nach Gilels’ Aufführung und Aufnahme bei vielen Pianisten plötzlich wieder von großer Beliebtheit.
Überraschend für viele, die Gilels nur für einen Pianisten mit enormer Virtuosität hielten, plante er Konzerte mit dem Titel „Die Geschichte der Klaviersonate“. Allerdings führte er den Plan nicht ganz „der Reihe nach“ aus. In der Seele ein Romantiker, konnte Gilels den von ihm selbst gesteckten strengen Repertoire-Rahmen nicht ganz einhalten. Die alten Sonaten – Scarlatti, Clementi, C. Ph. E. Bach und Haydn, mit denen er den Zyklus begonnen hatte, wurden jedoch beispielhafte Interpretationen früher Klaviersonaten.
Liszt und Prokofjew waren dagegen schon immer „seine“ Komponisten. Er setzte hohe Maßstäbe mit der Interpretation der Spanischen sowie der zweiten, sechsten, neunten und fünfzehnten Rhapsodie von Liszt sowie der zweiten, dritten und achten Sonate von Prokofjew. Die Werke, die er eingespielt hatte, versuchten andere Pianisten zu umgehen. Richter gab zu, die dritte Sonate von Prokofjew nicht mehr spielen zu können, nachdem Gilels sie eingespielt hatte. Die h-Moll-Sonate von Liszt wurde ebenso wie sein erstes Konzert in der Interpretation von Gilels zu einem Meisterwerk.
„Petruschka“ von Strawinsky war speziell für Artur Rubinstein geschrieben. Nachdem Rubinstein die Aufnahme von Gilels gehört hatte, weigerte er sich dieses Stück aufzuführen.
Brahms war genau wie Beethoven ein echter „Gilels“-Komponist: Die tiefe Leidenschaft in Verbindung mit strenger Enthaltsamkeit war wie für Gilels geschaffen. Schon 1958 wurde seine Aufnahme des zweiten Klavierkonzerts von Brahms mit dem Chicago Orchestra unter F. Reiner zur besten Aufnahme des Jahres gekürt. Später nahm er beide Konzerte mit E. Jochum auf. Diese Aufnahme wurde 1973 zur besten Aufnahme gewählt. In späteren Jahren spielte er mehrmals die Klavierstücke op.10 und 116 und kehrte schließlich wieder zu den Paganini-Variationen zurück. Auch Schumann spielte Gilels sein Leben lang. Großartige Erfolge waren sowohl die jugendlichen Klavierstücke wie die Toccata als auch seine späten Aufnahmen (die fis-Moll- und die g-Moll-Sonate und der Carnaval). Am Ende seines Lebens widmete er sich erneut den Symphonischen Etüden.
In all diesen und vielen anderen Meisterwerken konnte man Gilels’ Interpretation bereits nach wenigen Noten erkennen. Sie zeichnete sich unter anderem durch die Erzeugung eines besonderen Klangraums aus, den der ungarische Musiker L. Hernadyi treffend als „Hochspannungskette“ bezeichnete, die sich mit dem ersten Ton einstelle und die Zuhörer bis zum Schluss in klanglich-emotionaler Spannung halte.
Allein die Liste der Produzenten ist bei Gilels länger als bei den meisten Pianisten. Unter den Plattenfirmen, die ihn häufig produzierten, waren unter anderem „Melodiya“, Angel, Ariola, EMI, Eterna, Deutsche Grammophon. Bereits in den 30er Jahren entstanden erste Aufnahmen und so können wir heute hören, wie der junge Gilels die Gigue von Loeillet/Godowsky, die „Figaro“- Fantasie von Mozart/Liszt/Busoni, die g-Moll-Ballade von Chopin, die neunte Rhapsodie von Liszt, die Schumann-Toccata und das Duett von Mendelssohn spielte.
Später sollte Gilels noch geschätzt über 500 Aufnahmen machen. Die genaue Zahl seiner Aufnahmen lässt sich nicht ermitteln, da neben seinen Studioaufnahmen viele private Video- und Audioaufnahmen seiner Konzerte gemacht wurden.
In den 50er und 60er Jahren lehrte er weiterhin am Moskauer Konservatorium und übte eine umfangreiche öffentliche Tätigkeit aus. Er wurde Juryvorsitz der ersten vier Tschaikowsky-Wettbewerbe. Dank seiner objektiven Prinzipien ging der erste Preis beim Ersten Wettbewerb nicht an einen russischen Pianisten, sondern an den Amerikaner V. Cliburn. Jedoch musste Gilels um diese Gerechtigkeit in den Büroräumen der höchsten Macht der UdSSR kämpfen. Ebenso wurde er als Juror zum Brüsseler Wettbewerb eingeladen, wo er unangefochtene Autorität besaß. Er nahm an der Potsdamer Konferenz 1945 teil und konnte bei den elenden Umständen einiger Kollegen nicht wegsehen. Er bemühte sich ständig um irgendjemanden, sei es, dass Neuhaus aus dem Swerdlowsk-Exil zurück nach Moskau zurückkehren konnte, dass Richter die Erlaubnis erteilt wurde, im Ausland aufzutreten, dass M. Grinberg eine Wohnung bekommen sollte und vieles mehr.
Gilels war sehr bescheiden und tat Gutes buchstäblich heimlich. Das bot später einigen Kritikern die Möglichkeit, den Sinn seiner Handlungen völlig zu verdrehen. Man beschuldigte ihn der Liebe zur sowjetischen Ideologie, übermäßiger Vorsicht und eines schwierigen Charakters.
Besonders beliebt bei den Anklägern war die Tatsache, dass Gilels Mitglied der Kommunistischen Partei war; dabei vergaß man darauf hinzuweisen, dass Gilels die Mitgliedschaft 1942, inmitten des zweiten Weltkriegs, angetreten hatte, einer Zeit in der der Patriotismus viele dazu bewegt hatte. Dieser Schritt Gilels’ zeugt nur von Patriotismus und der Ablehnung von Faschismus. Er spielte an der Front Werke des „Emigranten“ Rachmaninow. Im belagerten Leningrad spielte er den „antisowjetischen“ Strawinsky; 1953 wird durch ihn die Musik von Medtner praktisch neu zum Leben erweckt, nicht nur durch die Aufführung seiner Werke, sondern auch mit einem Artikel „Über Medtner“ in dem Magazin „Sowjetische Musik“.
Schließlich fand er auch sein privates Glück und heiratete Ende der 40er Jahre Fariset (Ljalja) Chuzistowa, eine Absolventin des Moskauer Konservatoriums. Mit ihr lebte er bis ans Ende seines Lebens. Sie bekamen eine Tochter mit dem Namen Elena, die später Pianistin und Absolventin des Konservatoriums in der Klasse von J. Flier werden sollte. Mit seiner Tochter spielte Gilels das Es-Dur-Konzert für zwei Klaviere von Mozart (mit den Dirigenten R. Barschai und K. Böhm) und die f-Moll Fantasie von Schubert ein.
Im Ausland und in der ganzen Welt wurde er als genialer Interpret nicht nur zu seinen Lebzeiten anerkannt. Er wurde von den größten Musikern des 20. Jahrhunderts bewundert darunter V. Horowitz, A. Rubinstein, A. Borowskij, I. Stern, J. Heifetz, F. Kreisler, M. Anderson, J. Hofmann. Er bekam Autogramme geschenkt von Persönlichkeiten wie M. Chagall und S. Dalí und erfuhr auch die Wertschätzung von Ch. Chaplin, F. Poulenc und J. Sibelius. Er wurde von dem zurückgezogen lebenden Toscanini in dessen Residenz empfangen, der sonst niemanden empfing und nur für Gilels eine Ausnahme machte. Er musizierte mit Dirigenten wie O. Klemperer, E. Ormandy, L. Bernstein, H. von Karajan, R. Muti, G. Szell, L. Maazel, K. Masur, G. Solti, I. Markevitch, P. Argento, S. Ozawa, M. Seargent, P. Berglund, Z. Mehta.
Er war ein willkommener Gast in den Königlichen Residenzen in London und Brüssel, bei den Vereinten Nationen und in der päpstlichen Residenz im Vatikan. Jeder seiner Schritte wurde von unzähligen Reportern und Fotografen verfolgt. Er bekam unzählige Angebote, im Westen zu bleiben, wo er binnen kürzester Zeit Millionär geworden wäre, doch darüber war gar nicht mit ihm zu reden – er kehrte immer in sein Heimatland zurück, wo man ihm lediglich ein Fünfzigstel seiner Honorare ließ. Der Rest fiel der Staatskasse zu.
In der UdSSR genoss er große Achtung von angesehenen Musikern und anderen Künstlern: S. Prokofjew, D. Schostakowitsch, A. Chatschaturjan, D. Kabalewskij, R. Schtschedrin, A. Eschpaj, W. Sofronitzkij, K. Igumnow, S. Feinberg, W. Mershanow, M. Rostropowitsch, D. Schafran, D. Oistrach, L. Kogan, I. Koslowskij. Als einen noch sehr jungen Künstler schätzte ihn W. Katschalow sehr, und auch F.Ranjewskaja verehrte ihn.
Trotz seines Ruhmes und seiner Anerkennung in der ganzen Welt, trotz der höchsten Bewunderung seiner Kunst durch die Persönlichkeiten der sowjetischen und der Weltkultur, spiegelte die Einschätzung, die Gilels innerhalb der UdSSR genoss, keinesfalls seine wirkliche Größe als Mensch und Künstler wieder. So enthielt auch das Buch von S. Chentowa „Emil Gilels“, das in zwei Auflagen 1959 und 1967 erschien, viele wertvolle Informationen, spiegelt jedoch nicht den Kern des Künstlers und der Persönlichkeit Emil Gilels wieder. Seinen offiziellen Ruhm in der UdSSR erklärte Chentowa mit seiner Nähe zur sowjetischen Ideologie, was jedoch nicht der Wahrheit entsprach. Seinen weltweiten Erfolg ließ man gänzlich unkommentiert. Das beste Buch über ihn, welches von L. Barenbaum begonnen wurde, blieb zunächst unvollendet. Während der Arbeit an dem Buch kam es zu zwei unerwarteten Todesfällen – L. Barenbaum starb und schließlich Gilels selbst. Das Buch wurde dank der Bemühungen des Redakteurs T. Holland mit Unterstützung der Familien der verstorbenen Musiker herausgegeben.
Der in der ganzen Welt verehrte Gilels hatte in der UdSSR nie die für ihn gebührende Anerkennung erfahren. Als “Volkskünstler der UdSSR” und Träger des Lenin- Preises (1962) wurde ihm 1976 zu seinem 60. Geburtstag die höchste staatliche Auszeichnung – der Titel des „Helden des sozialistischen Werkes“ verliehen. Anlässlich seines Geburtstages führte Emil Gilels die Klavierkonzerte Beethovens unter Kurt Masur im großen Saal des Tschaikowsky-Konservatoriums auf, und tatsächlich las man fast nichts darüber in der Presse. Nur der Artikel von Flier, der seinen wahren Maßstab begriff, wurde dem wirklichen Gilels gerecht.
Außer der voreingenommenen Einschätzung vieler Kritiker spielte bei der unzureichenden Bewertung von Gilels auch seine Bescheidenheit eine Rolle. Außerdem konnte er, von Natur aus sehr ehrlich, anständig und natürlich, sehr schroff mit denen sein, die seinen hohen moralischen und professionellen Ansprüchen nicht entsprachen. Gilels stellte sich in gewissem Sinne gegen all das, was mit jeglichen Abweichungen von seinen moralischen Vorstellungen einherging, und bezahlte dafür mit der Verunglimpfung seines Namens, sowohl zu Lebzeiten als auch nach dem Tod.