1938 begaben sich Gilels und Flier zu dem anstrengendsten und, hinsichtlich des vorzubereitenden Programms, auch sicherlich anspruchsvollsten europäischen Wettbewerb nach Brüssel. Die Erwartungen an die beiden jungen sowjetischen Pianisten waren hoch, zumal zwei Jahre zuvor der sowjetische Geiger David Oistrach an der Spitze dieses Wettbewerbs glänzte.
Das Programm des Brüsseler Wettbewerbs zeichnete sich durch einen sehr hohen Schwierigkeitsgrad aus. In der letzten Runde wurde außer dem Soloprogramm und einem Klavierkonzert noch ein weiteres Konzert, das von einem belgischen Komponisten speziell für den Wettbewerb geschrieben worden war, verlangt. Die Noten bekamen die Finalisten eine Woche vor dem Auftritt.
Die Jury bestand aus herausragenden Musikern, daunter L. Stokowsky, O. Klemperer, W. Gieseking, E. v. Sauer, C. Zecchi, R. Casadesus und S. Feinberg. Die Jury bemerkte trotz des sehr hohen Niveaus der Finalisten, dass unter jenen einer der größten Pianisten des 20. Jahrhunderts war: Emil Gilels. Er bekam den ersten Preis, sein Freund Jakow Flier den dritten.
Neben umwerfender Virtuosität und emotionalem Drang, der Logik des Gesamten, der durchdachten und ausgearbeiteten Details und dem einzigartigen Klang, den sogar Neuhaus, der Gilels sehr kritisch gegenüberstand, als „goldenen“ Klang bezeichnete, sowie dem pulsierenden „lebendigen“, straffen Rhythmus, einer unfassbaren dynamischen Spannbreite, tadellosen Umgang mit der Zeit, Ausdauer, Zuverlässigkeit, über all dem schätzte die Jury zweifellos den tadellosen Geschmack, die emotionale Natürlichkeit und die klassische Sparsamkeit seiner Mittel.
Gilels begann zum Gegenstand des öffentlichen Musiklebens zu werden. Nach diesem Wettbewerb sollte er eine große Konzertreise antreten, die ihn unter anderem in die USA führte. Diese Pläne durchkreuzte jedoch der Zweite Weltkrieg. Nach der Rückkehr in seine Heimat war Gilels ein Held und er erhielt einen Orden für seine herausragenden Leistungen. Schon am Grenzposten wurde er begeistert empfangen und sein Name wurde fortan in einem Atemzug mit anderen nationalen Berühmtheiten genannt. Man hielt ihn für ein Symbol alles „sowjetischen“ in der Kunst, ohne zu begreifen, dass dies mit dem Inhalt seiner Kunst nichts zu tun hatte. Dieses Image, was ihm in seiner Jugend zu Ruhm verhalf, sollte ihm später in Musikerkreisen jedoch schaden.
Obwohl man Gilels in Europa und Amerika fast ausschließlich durch Rundfunkübertragungen kannte (er hat nur wenige Konzerte in Belgien und Frankreich spielen können), drang die Nachricht von diesem außergewöhnlichen Pianisten bis zu Rachmaninow vor, dessen Moskauer Freunde ihm bereits nach dem sowjetischen Wettbewerb von Gilels berichtet hatten. Rachmaninow hörte das Spiel des jungen Pianisten im Radio und befand Gilels für würdig, seine pianistische Nachfolge anzutreten. Er übergab Gilels eine Medaille mit dem Profil von Anton Rubinstein und ein Diplom, das er einmal selbst als Nachfolger von Anton Rubinstein überreicht bekommen hatte. Rachmaninow trug eigenhändig Gilels’ Namen in die Urkunde ein. Emil Gilels bewahrte diese Reliquien sein Leben lang in Ehren auf, doch erzählte aus Bescheidenheit fast niemandem davon.
1938 absolvierte Gilels sein Konzertexamen und begann am Moskauer Konservatorium zu unterrichten (ab 1952 als Professor). Seine pädagogische Tätigkeit übte Gilels mit Unterbrechungen bis zum Jahre 1976 aus. Aufgrund seiner umfassenden Konzerttätigkeit konnte er seiner pädagogischen Aufgabe nicht so viel Aufmerksamkeit widmen. Dennoch gingen aus seiner Klasse bekannte Pianisten wie M. Mdiwani, W.Afanassjew, I. Shukow und der Pianist und Komponist W. Blok hervor.