Der I. All-Union-Wettbewerb (1933)

Der Wettbewerb war als großes Ereignis gedacht und sollte dem Land und der ganzen Welt die Erfolge des sowjetischen Systems in der Kunst demonstrieren. Für die Teilnahme bereiteten sich die besten jungen Musiker der UdSSR vor, unter ihnen auch diejenigen, die nach ihrem Erfolg beim 2. Chopin-Wettbewerb bereits international bekannt waren.
Da Gilels in Moskau noch unbekannt war, beschloss Reingbald, ihn H. G. Neuhaus vorspielen zu lassen, den sie als Musiker sehr verehrte und der bereits einen Ruf als herausragender Klavierpädagoge genoss. Ein halbes Jahr vor dem Wettbewerb, Ende Herbst 1932, kam der sechzehnjährige Emil zum ersten Mal nach Moskau und spielte Neuhaus vor. Neuhaus war von Gilels vermeintlich außerordentlicher Begabung zunächst nicht überzeugt; ihm fiel nur dessen brillante Virtuosität auf. So erkannte er nicht das, was Borowskij und Rubinstein beeindruckt hatte: Den tiefen Sinn für Musik, der nicht auf romantisch-verschwenderische Art, sondern mit erstaunlich einfachen Mitteln ausgedrückt wurde. So formten sich zwei Meinungen über Gilels’ Kunst. Einerseits hielt man ihn für einen einmaligen Künstler, dessen Reife erstaunte, andererseits sah man in ihm einen Pianisten mit hervorragender Virtuosität und eher sachlichen Interpretationen.
Wie der Wettbewerb offenbarte, unterlag Neuhaus einem Irrtum. Gilels war eine Sensation. Nach dem Schlussakkord explodierte der Saal, sogar die Jury applaudierte im Stehen und vergab den ersten Preis des Wettbewerbes an Emil Gilels.
Womit hatte er die Zuhörer so beeindruckt, als er die Stücke von Rameau, die Fuge von Bach/Godowsky, die Händel-Variationen von Brahms, die Toccata von Ravel und die Fantasie von Mozart/Liszt/Busoni über Themen aus „Figaros Hochzeit“ spielte? Den Berichten großer Musiker wie D. Schostakowitsch, J. Flier, D. Kabalewskij, und L. Barenbaum zufolge, die ihn damals gehört hatten, erstaunte in dem Spiel des jungen Mannes die hohe Intensität der künstlerischen Aussage, die den Saal sofort fesselte und in seinen Bann zog sowie der unwahrscheinlich warme, intensive und abwechslungsreiche Klang, der straffe, “lebendige” und pulsierende Rhythmus, die phänomenale Virtuosität, und bei all dem: Klarheit, Logik, tadelloser Geschmack und edle Schlichtheit.
Der Wettbewerb veränderte Gilels’ Leben schlagartig. Er war plötzlich im ganzen Land bekannt. Auch seine junge Schwester trat zur damaligen Zeit sehr erfolgreich als Geigerin auf und Stalin persönlich wurde auf die begabten Geschwister aufmerksam. Ab diesem Moment bekam Gilels’ Bekanntheit eine gewisse politische Note, was ihn später stören sollte.
Nach dem Wettbewerb startete er eine große Konzerttournee durch die UdSSR. Seine Konzerte wurden ständig von Kritikern begleitet, die gerade zu der Zeit auf der Suche nach dem „wahren sowjetischen Interpretationsstil” waren. In seiner Jugend war sein Spiel noch oft von übertriebenen Tempi geprägt, was aus seinen enormen technischen Möglichkeiten resultierte, sowie eine gewisse Tendenz zur Vereinfachung künstlerischer Entscheidungen – die Folge von jugendlichem Unvermögen, alle Nuancen verschiedener Empfindungen differenziert genug zu vermitteln. Dennoch machte man gerade ihn zum Botschafter des sowjetischen Stils. Man charakterisierte sein Spiel mit Begriffen, die aus der Fabrikhalle zu stammen schienen, was den jungen Pianisten sehr traf und kränkte, denn Gilels strebte damals etwas ganz anderes an: Er wollte lernen, die lyrische Seite seiner Begabung voll und ganz zu entfalten.
Aber die Kritiker begnügten sich nicht mit dem „felsenfesten Aufbau der großen Konstruktion“, wie sie Gilels’ Interpretationen  charakterisierten. Sein Spiel wurde als Beispiel des „wirklich Sowjetischen“ in der Klavierkunst angeführt und viele Kritiker sahen sich dazu ermächtigt, ihn zu korrigieren und zu erziehen, und darüber zu wachen, ob er auch treu dieser Linie folgte. Gilels seinerseits stand vor einem anderen, ganz natürlichen Problem:  Aufgrund seiner Konzerttätigkeit hatte er nicht genügend Zeit sein Repertoire zu erweitern und er spürte, dass sich seine pianistische Weiterentwicklung verlangsamte. Erschöpft von den Anstrengungen, dem Druck und den andauernden Belehrungen durch die Presse, brach er alle Verträge und kehrte zurück nach Odessa, um in ruhiger Atmosphäre die Arbeit mit seiner Lehrerin B. M. Reingbald wieder aufzunehmen. Er lehnte sogar das Angebot ab, in das Moskauer Konservatorium zu wechseln und entschloss sich, seine Ausbildung in Odessa fortzusetzen. Später wird er über Berta Michajlowna Reingbald sagen, sie sei seine wahre Erzieherin, Lehrerin und Freundin gewesen.